Nachdem die gestrige Etappe eher lang war, möchten wir uns heute etwas schonen. Heute steht eine abwechslungsreiche, aber eher flache Etappe auf dem Plan: Zunächst der Abstieg in die Ironbridge Gorge (Schlucht des River Severn) mit der weltberühmten Iron-Bridge, dann geht es weiter über einen alten Bahntrack durch die Schlucht, immer am Fluss entlang und damit durch die Wiege der Industrialisierung. Von hier aus begann die Industrielle Revolution.
Was wir heute Morgen jedoch noch nicht wissen: Der Abstieg in die Gorge wird ein echter „Kniekracher“. Wir gehen den Weg hier zu schnell, so dass Friedel sein Knie überlasten wird und für ein paar Tage ausfällt. Aber heute Morgen wissen wir das noch nicht! 🙂
In Much Wenlock nehmen wir uns zunächst ein wenig Zeit für das sehenswerte Fachwerk-Örtchen. Besonders prächtig ist die alte Gilden-Halle, deren Interieur wir aber zu unserer frühen Stunde nur durch das Fenster betrachten können. Geschlossen ist auch noch das Kloster der heiligen Milburga, wir sehen nur die Mauern der äußeren Einfassung. Das ist sehr ärgerlich, aber so geht es uns häufig – Wir sind oft einfach schon zu früh unterwegs, um die kulturellen Highlights am Weg mitzunehmen. Heute sind wir sogar schon um halb neun gestartet. Wir überlegen ernsthaft, ob wir noch bis zehn Uhr warten sollen, bis das Kloster seine Pforten öffnet – Aber dann siegt die Wanderlust in uns. Also auf zur Severn-Schlucht!
Unser Weg heute ist wieder der Shropshire Way. Wir werden ihm bis zur Iron-Bridge folgen.
Zunächst geht es wieder über Wiesen und Weiden bis Benthall Edge, also zum Rand der Schlucht. Heute Morgen ist es bedeckt, aber es regnet nicht. Unterwegs begegnen wir vor allem vielen Schafen und einigen alten Bäumen.
Die Schlucht und den Wald erreichen wir gegen zehn Uhr, und nun beginnt der steile Abstieg in die Ironbridge Gorge. Den Leser mag es verwirren: Die Severn-Schlucht (Severn Gorge) wurde in Ironbridge George umbenannt, als das komplette Gebiet eine Unesco-Weltkulturerbestätte wurde. Der Ort neben der Iron Bridge heißt Ironbridge. Alles klar?
Jedenfalls haben es die 150 Meter Abstieg in sich. Beim Abstieg durch den Wald bieten sich trotzdem immer wieder Blicke auf die vier Kühltürme des Atomkraftwerks, das am Rand der Schlucht liegt. Riesendinger – ähhh … befremdlich.
Der River Severn – diesem längsten Fluss Großbritanniens sind wir schon mehrmals begegnet. Auf unserer Somerset Tour (Abschnitt 3.1) haben wir den Fluss bereits an seinem Ende mit dem „Second Severn Crossing“ überquert. Aber das erste Mal sind wir ihm nahe seines Ursprungs bei Llanbrynmair begegnet: Hier waren wir 2014 bei unserer Offa’s Dyke / Glyndwr’s Way-Tour unterwegs. Nahe des Ursprungs haben wir zwei wunderbare Tage bei Peter auf seiner Cwmbiga-Farm erlebt. Highly recommended! 🙂
Bei unserer Ankunft im Tal erwartet uns schlechtes Wetter. Die Iron Bridge im Regen – aber was ist so besonderes an dieser Brücke? Nun ja … wenn man es nicht wüsste, würde man es kaum bemerken: Es handelt sich hier um die älteste gusseiserne Brücke der Welt! Vorher gab’s nur Holzbrücken. 1779 war die Einweihung. Aber warum wurde das ganze Tal zum Weltkulturerbe? Großbritannien war damals die vorherrschende Industrienation weltweit. Diese Brücke symbolisiert die Vorherrschaft Englands bei der Industrialisierung weltweit – und wir würden behaupten, dass Großbritannien bis heute von diesem Ruhm zehrt :-).
Im Tal finden sich weitere Relikte des Beginns des Industriezeitalters: Kalköfen, Stollen, uralte Transportbahnen. Als wir hinter dem Ort Ironbridge (der Ort hat einige nette Cafés) auf einem alten Bahntrack dem River Severn folgen, treffen wir auf zahlreiche Relikte der alten Industrie. Wir sind schwer davon beeindruckt, denn von hier aus hat das moderne Zeitalter begonnen – und hat unserer Meinung nach die Welt mehr verändert als jedes andere …
Im Verlauf unsere Reise werden wir besonders in Nordengland auf weitere Stationen der Industrialisierung treffen: Nach der Gewinnung von Rohstoffen in der Severn-Schlucht folgte die Einführung von Dampfmaschinen, die Errichtung von mechanischen Webstühlen, die Suche nach Rohstoffen in Cornwall (siehe Abschnitt 1) und anderen Teilen der Welt …
Als wir die Severn Bridge verlassen, müssen wir uns Regenjacken überwerfen. Aber nicht zu lang – Der Regen dauert nicht an. Schon bald scheint die Sonne wieder, und auch die Temperaturen steigen!
Ab Ironbridge folgen wir ca. 2,5 Kilometer dem Severn Way, allerdings nur bis zu einer Fußgängerbrücke beim „Tar Tunnel“, wo wir den Fluss überqueren. Wir besuchen den Tunnel nicht, weil uns bis heute nicht einleuchtet, was die Besonderheit einer Sehenswürdigkeit darstellen soll, bei der Besucher mit einem speziellen Schutzhelm ausgestattet werden, der sie vor dem massiven Teer-Regen von oben beschützen soll .. nun ja ..
Die Außenanlagen nahe des Tunnels sind (heutzutage) sehr hübsch. Ein Fähranleger führt zu alten Gleisanlagen, deren Schienen verbogen nach oben zu einem alten Stollen führen. Wir steigen neben den Gleisen nach oben – what goes down, must go up! Allerdings geht es auf dem „Monarch’s Way“ nur circa einhundert Meter hoch. Oben verirren wir uns erst mal im Gewirr der Fußpfade. Da wir aber mittlerweile die tolle App von Ordnance Survey haben, finden wir Weg und Richtung im Nu.
Der Monarch’s Way führt und zunächst durch ein Waldgebiet und dann am Rande eines Golfplatzes zu einer Straße. Diese sieht auf der Karte relativ harmlos aus, entpuppt sich in der Realität jedoch als recht dicht befahren. Wir sind froh, dass wir sie in Brockton verlassen können. Brockton selbst entpuppt sich als Ansammlung einiger hübscher und gepflegter Herrenhäuser.
In Kemberton mache wir Rast an der alten Kirche aus dem 18. Jahrhundert. Aus der Perspektive von Wanderern schätzen wir Kirchen und ihre Friedhöfe besonders: Fast immer findet sich auf dem Kirchhof eine hübsche Bank und eine ruhige Rastmöglichkeit, inklusive hübscher Fotomotive für Friedel.
Nach Kemberton folgen wir dem Monarch’s Way bis zur alten Mühle, wo wir nach links in einen namenlosen Public Footpath abbiegen. Der Weg folgt dem Wesley Brooke nach bis Sunnyside: Ein hübsches Stück Weg, vor allem im nachmittäglichen Sonnenschein. Es geht durch Wiesen und durch irgendwelches hübsches Dickicht, leider kennen wir die Pflanzennamen nicht. Bei Sunnyside geht es wieder bergauf. Da wir noch nicht ausgelastet sind, machen wir eine Pause auf dem Lodge Hill, 114 Meter hoch, aber hübsch windig!
Nun geht es nach Shifnal. Den Ort haben wir allein aufgrund seiner Übernachtungsmöglichkeiten gewählt und er verfügt über keine Sehenswürdigkeiten. Wir kommen in der Anvil Lodge unter, einem B&B mit Pub-Anschluss, Die Besitzer betreiben das alte Anvil Inn sozusagen noch als Hobby, servieren aber kein Essen. Die Zimmer sind groß, schön und modern und wir haben gaaaar nix zu meckern!
Am Abend essen wir in einem Pub irgendwo auf der Highstreet von Shifnal. Dieser ist nicht der Rede wert, das Essen und das Ambiente sind eher schlecht. Ich glaube – nein ich weiß – es war das Wheatsheaf Inn … Egal, es füllt den Magen und Friedel und ich sind nicht besonders anspruchsvoll, wenn der Preis stimmt. Zu einem Absacker gehen wir noch ins Anvil Inn, zu unserem „Gastvater“ Mike. Der erklärt Friedel und mir dann auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Biersorten. Wir probieren verschiedene Varianten von Bier und auch von Cider, die uns Mike empfiehlt, und kommen mit diversen „Locals“ ins Gespräch. Am Ende landen wir mehr oder weniger angeschiggert und glücklich in unserem naheliegenden Bett. Auch wen Shifnal „kulturell“ nicht viel zu bieten hat – Wir mögen es!