Avalon, wir kommen! Wie schon erwähnt war es relativ schwierig, einen attraktiven Weg vom Ende des SWCP bis zu den Pennines zu finden. Da zum Zeitpunkt unserer Wanderung das Teilstück des English Coast Walks von Minehead nach Brean noch nicht fertig gestellt war, stellte sich die Frage, wie wir die eher langweilig erscheinenden Somerset Levels angenehm überqueren könnten. Bei meiner Recherche stieß ich auf den Samaritan’s Way South West, der zwar nicht in den OS-Karten eingezeichnet ist, aber eine schöne Wegführung verhieß. Der Weg führt um die Levels herum nach Glastonbury, Schauplatz des Glastonbury-Festivals und im Ruf stehend, das legendäre Avalon zu sein. Au ja!
Auf der Karte wirkte der Weg südwestlich um die Levels herum eher langweilig, also warum nicht mittendurch? Und da bei den Levels auch nun auch wirklich keine besonderen Berge zu erwarten sind, dachten wir uns, dass wir es bis Avalon auch an einem Tag schaffen.
Aber zunächst gilt es am Morgen nach dem sehr guten Frühstück erst mal aus Bridgwater herauszukommen. Der Ort streckt sich lang nach Westen und wir brauchen drei Kilometer, bis wir an der Fußgängerbrücke über die Autobahn sind. Ab jetzt beginnt unsere lange Wanderung, erst einmal durch ein Maisfeld, und dann über endlose Teersträßchen durch die Drains: Chedzoy, Sutton Mallet, Moorlinch … Es gibt wirklich wenig zu sehen, außer hin und wieder mal ein zugekrauteter Seitengraben oder ein Wasserloch voller Wasserlinsen. Ansonsten eher langweilige Wiesen und schnurgerade Straßen.
Zum Glück ist heute ein eher bedeckter Morgen, es ist also nicht zu heiß und der Tritt ist angenehm. Obwohl die Landschaft nicht atemberaubend ist, kommen wir gut voran und wir freuen uns einfach, draußen und unterwegs zu sein. In Greinton erwartet uns dann ein netter Pub, der Kaffee und Scones im Angebot hat.
Nach Shapwick geht es noch mal eine schnurgerade Straße entlang, bis wir endlich in den „richtigen“ Drains landen: Eine Moorlandschaft mit wirklich viel Wasser. Eine alte Bahntrasse führt über Shapwick Heath bis nach Glastonbury hinein, und diese letzte neun Kilometer werden richtig schön und interessant.
Die Somerset Levels sind eine Tiefebene, die hollandähnlich null bis 20 Meter über dem Meeresspiegel liegen. Zwar gibt es hier auch einige Hügelchen, die aus den Levels herausragen, aber der Großteil des Gebiets ist flach und sumpfig. In der Vergangenheit ist das Gebiet natürlich immer wieder vom Meer überflutet worden, weshalb man Dämme gebaut und Gräben gezogen hat: Eine „Drainage“ also, auf Englisch „Drains“.
Trotz der unangenehm nassen Lage haben hier schon vor Ewigkeiten Menschen gesiedelt. So wurde hier vor fast 6000 Jahren der Sweet Track errichtet, ein alter Bohlenweg über das Moor. Ein Teil der alten Bretter ist mittlerweile im British Museum in London zu bewundern, ein anderer Teil im Somerset Museum in Taunton. An der Fundstelle gibt es wenig zu sehen außer einen kleinen Nachbildung und einiger Schautafeln – trotzdem ist es aufregend, an einem so alten Ort zu stehen. Beziehungsweise zu sitzen, denn an der Fundstelle gibt es eine Bank im Schatten, auf der wir eine ausgiebige Pause einlegen, denn mittlerweile ist die Sonne hinter den Wolken aufgetaucht und hat uns ordentlich eingeheizt.
Der Weg über den Bahntrack führt an zahlreichen Seen vorbei, auf denen sich Millionen von Wasservögeln tummeln. Wenn wir Vogelfans wären, hätten wir hier unsere wahre Freude. In der Tat treffen wir zahlreiche Vogelfreunde, die mit Ferngläsern, Klappstühlen und Kameras bewaffnet am Wegrand sitzen.
Je näher wir uns Glastonbury nähern, desto mehr Spaziergänger kommen uns entgegen – und desto größer wird der Glastonbury Tor vor uns. Dieser legendäre Berg mit dem Turm darauf ist wohl auch deshalb so beeindruckend, weil die Umgebung so flach ist. Der Tor ist auch der Grund, warum Glastonbury bei Esoterikern so hoch im Kurs steht: Der Hügel wurde schon von den Kelten besiedelt, die vielleicht auch die terrassenförmigen Furchen darauf angelegt haben. Außerdem sollen über den Hügel zahlreiche Ley-Linien verlaufen und – was die Beliebtheit des Ortes auch bei Fantasy-Fans erklärt – der Turm soll der Eingang zum Feenreich Avalon sein.
Aber damit nicht genug: Es gibt eine Sage, dass Jesus Glastonbury besucht und den HEILIGEN GRAL dorthin gebracht haben soll. JESUS!
Sobald Glastonbury Tor in Sicht ist, beginnt Steffi die Hymne „Jerusalem“ zu singen, die sie extra für den Einmarsch nach Glastonbury auswendig gelernt hat: „And did those feet in ancient times …“
Stilgerecht haben wir keine Kosten gescheut und uns im 1470 erbauten „George and Pilgrims Inn“ einquartiert, einem der ältesten Gebäude der Stadt. Unser Zimmer gleicht einem Museum: Es ist riesig, in der Mitte des schiefen Bodens thront ein Himmelbett mit rotsamtenen Volants, diffuses Licht scheint durch die bleiverglasten, kirchenfensterartigen Buntglasscheiben.
Den frühen Abend verbringen wir damit, aus unserem Fenster hinaus auf die High Street zu gucken und die interessanten Leute auf der Straße anzuschauen. In Glastonbury hat sich jede Menge esoterisches Volk angesiedelt – Haben die Ley-Linien sie angezogen? So ein buntes Straßenbild in einer Kleinstadt mit weniger als 10.000 Einwohnern hat uns jedenfalls überrascht.
Wir haben Mühe, im George and Pilgrims ein Abendessen zu bekommen, weil sie gerade ein Großereignis beköstigen müssen. Am Ende klappt es aber, und wir haben den Abend frei, um noch ein wenig Glastonbury zu besichtigen. Unser Ziel ist ein Sonnenuntergang auf dem Tor, aber das schaffen wir nicht mehr. So drehen wir nach der Hälfte des Weges wieder um. Auf unserem Hin-und Rückweg können wir uns hin und wieder das Kichern nicht verkneifen – skurriles Volk ist in Glastonbury unterwegs! So begegnen wir unter anderem Till Eulenspiegel und einer lächelnden buddhistischen Nonne. Dementsprechend schräg sind auch die Läden: Es gibt kaum normale Geschäfte, dafür aber unzählige Steineläden, Läden für Hippiebedarf und Headshops. So nehmen wir noch einen Absacker im Hotel und landen mit platten Füßen früh im Himmelbett.