Tag 92: Kenmore nach Aberfeldy

Carla kann nicht mehr. Sie hat heute so große Schmerzen im Fuß, dass sie beschließt, mit dem Taxi nach Aberfeldy zu fahren. Friedel und ich werden heute also komplett alleine unterwegs sein.

Wir müssen heute den gleichen Weg wieder hinauf, den wir gestern heruntergestiegen sind. Das heißt, dass wir gleich am Morgen 200 Meter aufsteigen müssen. Das schaffen wir inzwischen ganz locker, aber am Anfang der Tour hätten wir  hier schon ganz schön geschnauft.

Am Tombuie Cottage biegt der RRW nach links ab, es geht durch Wiesen bis zu einem kleinen See. Hier sind auf der Karte viele „Cup and Ring-marked Stones“ eingezeichnet, also besondere Steine, die prähistorische Gravuren oder Ringe aus prähistorischer Zeit aufweisen sollen. Heute haben wir Zeit, da können wir ja mal ein wenig danach suchen. Wir laufen bergauf und bergab, grasen alle Steine in einem Ein-Quadratkilometer-Arreal ab, und finden – nichts! Entweder wir sind blind oder ignorant oder nur Experten erkennen die typischen Furchen? Einige Male ruft mich Friedel zu sich: Er meint, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Ich jedoch winke nur müde ab.

Allein die Diskussion war schon lustig! Ist ein „cup marked stone“ auf der Oberseite markiert (Steffis Ansicht) oder ist er einfach irgendwo mit einer „cup“ markiert (meine Meinung)? Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen…wie wir später auf einer Schautafel gelesen haben, sind es Steine, mit künstlichen Vertiefungen (cups) markiert. Diese sind im Perthshire besonders häufig zu finden.

Die ganze Aktion hat uns etwas von der Originalroute entfernt. So beschließen wir, eine Alternativroute durch einen Wald zu nehmen. Der Weg führt uns nach einem Gatter (das mit Schnüren gesichert ist und das wir aufwändig auf- und dann wieder zuknoten müssen) in einen dichten Wald, in dem sich Hänsel und Gretel sofort verirren würden. Ätsch, wir haben Navi, hähä!

Aber auf dem Gatter ist ein sehr verblichenes Warnschild, das wir nur mit Mühe entziffern können: Vorsicht vor einem wilden Keiler – insbesondere Hunde und Kleinkinder sind extrem gefährdet! Wild Boar! Das macht den Finsterwald nun wirklich finster!

Am Ende landen wir wie geplant auf einem Waldweg, der extrem von Forstfahrzeugen eingeschnitten wurde. So etwas aber wir noch nicht gesehen: Furchen so tief wie Steffi! Das ganze natürlich auch noch extrem matschig, denn sonst würde es solche Furchen gar nicht geben. Der kleine Abschnitt von vielleicht einem Kilometer (bei dem wir abwechselnd in die Furchen hinein hüpfen, in der Mitte balancierten oder uns an der Seite durch das Dickicht schlagen) kostet uns fast eine Dreiviertelstunde, aber was soll’s! Wir haben ja Zeit heute, gell?

 

Einmal zurück auf dem RRW, wird es auch nicht schöner, nur bequemer. Waldarbeiter haben eine brachiale Schotterschneise in den Wald geschlagen. Das wird Jahre dauern, bis die halbwegs „eingewachsen“ sein wird. Hässlich, hässlich, hässlich! Das wird wohl mal eine richtige Strasse. Egal, was sollen wir machen. Augen zu und durch. Hätte es sowas auch auf dem West Highland Way gegeben?

Der folgende Abschnitt bietet immer wieder weite Blicke in das Tal des Tays hinunter und zurück zum Loch Tay. Von Weitem sehen wir erneut das trutzige Taymouth Castle.

Unglaublich, dass das ganze Areal jemandem gehört, der das alles sogar pflegen lässt, aber dort nicht wohnt. Eventuell soll dort ein Luxus-Hotel entstehen. Da müsste sich dann aber das Kenmore Hotel ordentlich anstrengen! 🙂

Wir glauben, am Weg einige Kaledonische Kiefern zu sehen. Sind sie es, oder sind sie es nicht? Seit unserer Wandertour durch das Glen Affric (berühmt für seine großen Bestände der für Schottland besonderen Kierfernart) ist ja schon einige Zeit vergangen. Zehn Jahre? Wir sind nicht sicher, ob wie den pinienartigen Baum wieder erkennen. Der Berg, der uns auf unserer heutigen Tour begleitet, ist der Schihallion. Mit seinen prächtigen 1083 Metern und seiner Alleinstellung in Bezug auf die umliegenden Hügelchen wirkt er imposanter als z.B. der Ben Ledi.

In der Mittagspause isst Steffi einen Müsliriegel aus dem Bio-Laden in Killin, der ihr nicht bekommt.  Dazu muss gesagt werden, dass sie hoch allergisch auf Erdnüsse reagiert, aber die Zutatenliste nicht gut gelesen hat. Da steht fett drauf, dass der Riegel 14 (in Worten: vierzehn!) Prozent Erdnüsse enthält. Sie haut sich zwei Pillen Anti-Histamine rein und hält tapfer durch bis Upper Farrochil. Da müssen wir eine Pause machen, Steif haut sich ins Gras und würgt und jammert eine Runde.

Nachdem das Gesicht abgeschwollen ist, kann es lustig weiter gehen. Steffi hofft, dass es ihr bis zu den Birks of Aberfeldy wieder besser geht, denn darauf hat sie sich den ganzen Tag schon gefreut. In der Tat ist der Weg von Farrochil bis zu den Birks schon sehr schön: Eine Ebene ist bestanden mit lichten, hellgrünen Birken, dazu leuchtet in diversen Schattierungen lindgrünes Gras und von Moos überwucherte Baumstümpfe. Die Bäume sind mit hängenden Flechten überzogen. Kurz vor den Birks kommt im Tal das Menzies Castle in Sicht. Das würden wir auch gern besichtigen, aber es liegt leider nicht auf dem Weg.

Die Birks of Aberfeldy sind dann wirklich sehr beeindruckend: Durch die Schlucht des Moness Burn führt der Weg an verschiedenen Wasserfällen vorbei, einer schöner als der andere. Vor lauter „Ahs“ und „Ohs“ kommen wir kaum weiter. Nach jeder Wegbiegung wartet ein neuer Wasserfall, aber nicht vom Moness-Burn, sondern von diversen Bächen, die von den Seiten in das Tal fließen. Die eine laufen über Mooskissen steil in einem Schwall nach unten, die anderen plätschern von Becken zu Becken ins Tal. Aus der einen Touristenattraktion könnte man glatt vier machen!

Schön ist, dass wir außer einem älteren Ehepaar niemanden treffen. Wie voll muss das hier an Juli-Wochenenden sein!

Vor dem Ortseingang Aberfeldys hat die Gemeinde einen „Ring-marked Stone“ inklusive Infotafel ausgestellt. Ahaaa! Nun wissen wir, wie die aussehen sollen! Wir haben ja heute trotz aller Anstrengungen keinen gefunden.

Sei’s drum. In Aberfeldy treffen wir Carla am Marktplatz. Sie hat natürlich schon eingecheckt und wartet auf uns. Die Tapfere hat sich heute allein ebenfalls in die Birks geschleppt und ist das gesamte Tal von unten bis oben uns wieder zurück gelaufen.

Das Shiehallion-Hotel, in dem wir absteigen, ist gut und günstig. Die Zimmer sind sehr groß und schön, das Bad ist fürstlich. Allerdings gefällt uns das bistro-artige Restaurant des Hotels nicht so gut. Auf jeden Fall würden wir den Laden in unserem eigenen Bewertungssystem als „solide Mittelklasse“ bewerten.

Heute Abend unternehmen wir keine Extra-Ausflüge mehr, denn Steffi ist durch die Antihistamine ein wenig aus dem Takt geraten. Morgen ist dann ein neuer Tag!

Tag 91: Ardtalnaig nach Kenmore

Ab jetzt wird’s ausgesprochen geruhsam: Keinen Tag mit mehr als 15 Kilometern! Aber jetzt mal ganz ehrlich: Friedel und ich sind gerade richtig gut eingelaufen – von uns aus könnte es jetzt richtig losgehen! Auf der anderen Seite geht es Carla zunehmend schlechter. Heute wird sie noch halbwegs durchhalten – jedoch zu welchem Preis?

Zunächst erwartet uns heute morgen ein fürstliches Frühstück: Rosemary bringt uns einen Frühstückskorb mit diversen Köstlichkeiten, die wir bestellt haben. Zwar ist dies kein gekochtes schottisches Frühstück, aber gut genug für den Start in unseren heute eher gemütlichen Tag.

Carla hat tatsächlich erwogen, heute ein Taxi zu nehmen. Doch sie entschließt sich, mit uns zu laufen, jedenfalls bis Acharn. In Acharn trennen wir uns heute erneut. Carla läuft weiter die Straße entlang nach Kenmore, wir folgen dem Schlenker des RWW über die Falls of Acharn. Es wird sich lohnen!

Wir lieben diese kleinen Umwege, die der RRW einbaut: Wenn es auch mitunter sinnlos anmutet, eine Straße zu verlassen und sich den Berg hoch zu schlagen, nur um ein paar Kilometer weiter wieder auf dieselbe Straße zu treffen – Das macht den Weg gerade reizvoll!

Es fällt uns heute schwer, Carla wieder alleine zu lassen. Jedoch sind die Falls of Acharn ausgesprochen lohnenswert. Zuerst treffen wir auf die „Hermits Cave“, einen Durchgang durch den Fels, der an seinem einen wunderschönen Blick auf die Fälle gewährt – Danach führt ein hübscher Rundweg bis zu einem Ausblick oberhalb der Fälle. Eigentlich sind die Fälle nur ein Fall, aber dieser ist ziemlich hoch! Was uns besonders gefällt: Niemand außer uns ist hier an diesem Dienstagmittag unterwegs …

Anschließend führt uns der Weg über offene Wiesen immer oberhalb des Loch Tays entlang. Immer wieder gibt es schöne Ausblicke zu genießen. Bei Balmacnoughton gibt es ein Ereignis, das uns stark in Erinnerung bleiben wird: Hier wird Steffi heute zur Schaf-Heldin! Als wir den Weg schnatternd und mit den Stöcken schlagend entlang gehen, geraten einige Schafe in Panik: Ein Muttertier wird von seinem Lamm getrennt und letzteres verfängt sich in einem Zaun. Es zappelt und zappelt, aber kann sich nicht befreien. Noch schlimmer: Bei dem Versuch, seiner Mutter zu folgen, verstrickt es sich immer mehr mit dem Kopf im Zaun und stranguliert sich fast. Was macht man nun in so einer Situation? Wenn ich das Schaf anfasse, wird die Mutter es danach noch annehmen? Oder sollten wir einfach weitergehen und hoffen, dass das Lamm sich beruhigt und selbst den Weg aus der Falle findet?

Friedel hat eh Berührungsängste mit Tieren, aber auch er denkt, das „man“ etwas tun sollte. Also packt Steffi das Lamm und befreit es aus seiner misslichen Lage. Zum Glück ist das Lamm vor Schreck wie paralysiert und wehrt sich nicht. Es schnauft nur ganz laut und fühlt sich heiß und wollig an. Einmal auf den Boden gesetzt, stürmt es zur Mutter und die wirkt zumindest erst mal nicht so, als wenn sie ihr Kind verstoßen wollte. So hoffen wir also das Beste!

Es folgt der „Queens Drive“, den Queen Victoria während ihrer Hochzeitsreise im Taymouth Castle bei Kenmore fuhr. Hierbei handelt es sich um einen Höhenweg mit schöner Aussicht auf Loch Tay, der am Ende in den Braes of Taymouth endet, einem Waldgebiet oberhalb von Kenmore, in dem sogar noch einige Kaledonische Kiefern stehen sollen – gesehen haben wir jedoch keine!

Hier treffen wir auf einen farnbewachsen Birkenwald, der uns sehr an Cannock Chase erinnert. Ein merkwürdiges älteres Ehepaar spricht uns an, das uns nach dem Weg fragt. Jedoch scheint dies nur ein Vorwand zu sein, denn kurz darauf erklärt uns der Mann, dass die beiden seit Tagen keine Engländer im Wald getroffen hätten: Erst trafen sie Tschechen, dann Polen und nun uns Deutsche – aber  .. haha! .. nicht mehr lange, und wir alle müssten Großbritannien verlassen, haha!  Wir erklären den beiden, das sie uns auf keinen Fall los würden, haha, und machen uns verwundert weiter auf den Abstieg nach Kenmore. Es geht in Serpentinen recht steil nach unten zum See.

Sehenswert sind die Überreste der Crannocks, die an einigen ufernahen Stellen im Loch Tay zu sehen sind. Das sind kleine künstliche Inselchen, die ursprünglich mit kleinen runden Holzhütten bebaut waren. Dort lebten die Ur-Clans in ihrem schottischen Kraal. Ein Modell davon ist hier im Crannock-Center am Ortseingang zu besichtigen. 

Das Zentrum des Orts ist zweifellos das Kenmore-Hotel, in dem wir absteigen, und ein Post-Laden, der auch ein paar Lebensmittel bereithält. Ansonsten gibt es wohl noch den Kenmore-Club, ein Appartment-Komplex, in den ich uns erst einmieten wollte, und einem riesigen Wohnwagen-Park. Der ganze Ort ist scheinbar als Satellit des Taymouth-Castle entstanden, das malerisch circa zwei Kilometer vom See entfernt am Tay steht. Wie wir nachgelesen haben, steht das riesige Schloss zurzeit leer. Unglaublich! Es gibt auch noch eine pittoreske Kirche und eine sehr schöne Brücke über den Tay. Der Ort ist verschlafen, aber ganz hübsch.

Das Kenmore-Hotel ist ein altmodisches Hotel mit großen Zimmern. Eigentlich mögen wir sowas ja, aber der Betrieb wirkt irgendwie lieblos. Wie wir von einem deutschen Hotelgast beim Büffet-Frühstück am nächsten Morgen erfahren, werden die Zimmer teilweise in Rabattaktionen bei Fährenbetreibern verramscht. Den Hotel angegliedert ist ein hässlicher Neubau, in dem sich das Restaurant des Hotels befindet. Zum Glück kann man auch in der alten Bar etwas zu essen bestellen, die wir dem Restaurant vorziehen. Insgesamt ist das Kenmore-Hotel nicht wirklich unser Lieblings-Hotel auf dieser Reise, aber schlecht ist es nicht.

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