Tag 53: Hebden Bridge nach Ponden

An diesem Morgen müssen wir zunächst zum PW zurück finden. Es gibt dazu den offiziellen „Hebden Bridge Loop“, der über Hebdenstall zum PW zurückführt. Blöderweise wussten wir das zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, so dass wir einen anderen Weg durch das Tal des Baches Colden (Colden Clough) laufen.

Nach einem herzlichen Abschied von Pamela machen wir uns gegen halb zehn auf den Weg. Unser eigener Loop führt uns zunächst wieder ein Stück am Kanal entlang, den wir jedoch an einer interessanten Doppelbrücke über den Rochdale Canal und den River Calder in Richtung Mytholm verlassen. In Mytholm laufen wir an der Kirche vorbei und halten uns dann beim Eingang in das Colden-Tal immer links vom Bach. Ein angenehmer alter Fahrweg führt uns durch Wald langsam immer höher in das Tal.

Da es auf den Höhen der Pennines überhaupt keinen Wald gibt, genießen wir die Aufstiege und Abstiege in die Täler der Pennines, denn nur dort finden sich Bäume. Dies bedeutet einfach eine interessante Abwechslung zu der Kargheit der Höhenwege. Immer wieder gibt es Ausblicke auf den Bach, der tief unter uns am Grund des Tales fließt.

Oben angekommen, trifft uns der „Alb-Effekt“. Ein ähnliches Gefühl haben wir auch bei uns zuhause auf der Alb, wenn wir aus dem Tal durch den dunklen Wald aufsteigen und uns oben die Offenheit der Albebene immer wieder überrascht – so ist es auch hier. Nur erwarten uns hier keine grünen Wiesen und Weizenfelder, sondern eine weite Heidelandschaft. Es ist für uns immer wieder unglaublich, dass die Bevölkerung hier in England nicht die Moore trockengelegt hat und diese riesigen Flächen nicht intensiver nutzt. Hier oben ist es so karg, dass hier nicht mal Schafe weiden – riesige Areale mit nichts als harten Gräsern, Binsen, Heidekraut.

Der Himmel ist bedeckt und es ist windig, aber es wird den ganzen Tag nicht regnen. Heute geht unser Weg durch das Bronte-Land. Die Novellen der Bronte-Schwestern Charlotte und Emily spielen in dieser Region. Der PW wird uns heute sogar direkt über „Top Withens“ führen, die Ruinen eines Gehöfts, die Emily Bronte angeblich zu „Wuthering Hights“ („Sturmhöhe“) inspiriert hat.

Zu diesem Zweck hat Steffi vor dem Urlaub extra einige Werke der Schwestern gelesen. Nun ja … so ganz kann sie den Hype um die Geschichten nicht verstehen …

Der Weg führt uns zunächst durch eine wenig abwechslungsreiche Landschaft bis zum ersten Stausee. Hier, in der Nähe des Gorple Lower Reservoirs, verbringen wir unsere erste Pause, an einem lieblichen Bachlauf, an dem sogar Farne und ein paar Bäumchen wachsen!

Weiter geht es durch Heide und karge Wiesen bis zum nächsten Stausee, wo ein paar ausgebüxte Schafe hinter der Staumauer versuchen, ein paar essbare Hälmchen zu finden.

Die drei Walshaw Dean Reservoirs sind auf jeden Fall hässlich. Sie sind nur halb mit Wasser gefüllt, so ein abgelassener Stausee ist wohl nirgendwo ein schöner Anblick, nicht nur in den Pennines.

Auf dem grasigen Weg entlang des ersten Stausees haben wir ein Deja-Vu – der Nacktjogger aus unserem letzten Urlaub verfolgt uns! Aber dieses Mal hat Friedel seine Kamera griffbereit und dokumentiert den Vorgang sogleich. Erst hinterher bemerken wir, dass wir in unserem Schreckmoment übersehen haben, dass er doch ein Höschen getragen hat … Jedenfalls so oder so unglaublich, warum man bei so einem Schmuddelwetter ohne Hemd unterwegs ist!

Die Ruinen von „Wuthering Heights“ kommen immer näher, und die Spannung wächst. Nachdem wir den ganzen Tag niemanden außer dem sphärischen Jogger getroffen haben, trifft uns fast der Schlag, was für ein Gewusel um die Ruinen herum herrscht. Okay, heute ist Samstag. Aber das Wetter ist schlecht und es gibt hier eigentlich nur eine kleine Ruine mit zwei Bäumchen daneben – so what?

Eine Tafel belehrt uns darüber, dass die Ruine in der Tat gar keine Ähnlichkeit mit dem Heathcliff-Anwesen aus dem Roman hat. Aber warum ist der Platz dann in den Karten als besondere Sehenswürdigkeit eingezeichnet? Warum sind so viele Leute hier? Warum sind die Wegweiser sogar auf Chinesisch und Japanisch beschriftet? Und warum gibt es hier verdammt nochmal trotzdem keine Kaffeebude? 🙂

Der Abstieg zur Straße nach Stanbury gestaltet sich recht geruhsam und die Aussicht auf die grünen, mit Steinmauern eingefassten Wiesen ist hübsch. Das erinnert uns an die Täler der Yorkshire Dales, die uns schon auf dem Coast to Coast Walk so gefallen haben. Zwar sind wir hier noch nicht im Yorkshire Dales Nationalpark, aber die Landschaft lässt seine Nähe schon erahnen – Wir freuen uns drauf!

Als wir gerade aus den Hügeln auf die Straße treten, kommt uns ein Polizeiauto entgegen. Unglaublich! Den ganzen Tag haben wir kein Auto gesehen, und nun ist das erste die Polizei. Noch dazu hält der Wagen an! Die Polizistin auf der Beifahrerseite kurbelt das Fenster herunter und fragt Friedel „Have you seen a silver goat?“ (Haben Sie eine silberne Ziege gesehen?) Friedel kann es nicht fassen. Er schaut die Polizistin ungläubig an und fragt unsicher zurück „A silver goat???“

Die Polizistin daraufhin ganz ungehalten „No!!! A silver GOLF!!! THE CAR!!!“

Steffi kriegt einen Lachanfall und beide lachen wir auch noch am nächsten Tag, und am übernächsten …

In Stanbury am Ponden Reservoir habe ich uns im „Old Silent Inn“ einquartiert. Das Inn, das im Internet wirklich toll aussah, wird zu einer echten Enttäuschung. Uns wird ein fensterloses Quartier zugeteilt, die einzige Frischluftquelle ist eine Dachluke. Diese können wir nicht öffnen, weil dann Essensgeruch aus der Küche hereinwabert. Das Badezimmer ist ein Schrank mit total schiefem Boden. Das ist echt die schlechteste Unterkunft auf der ganzen Tour!

Wir verhalten uns jedoch wie die Engländer, versteifen unsere Oberlippe und schweigen. Hier werden wir nie wieder einkehren! (Was wir vermutlich eh nicht getan hätten, auch wenn das Zimmer schöner gewesen wäre …)

Egal, sei’s drum. Das Essen ist nicht schlecht, der Gastraum ist gemütlich und wir schlafen gut, trotz des Geruchs. Im Internet habe ich gesehen, dass sie auch schöne Zimmer haben. Bestimmt haben wir das hässlichste bekommen, weil wir EU-Ausländer sind! 🙂

Gott sei Dank haben wir noch die silberne Ziege, über die wir lachen können …

Tag 52: Littleborough nach Hebden Bridge

Da wir das letzte Mal auf unserer „White Peak“ Tour schon am Aiggin-Stone ausgestiegen sind, beginnen wir unsere Tour wieder in Littleborough. Am Vortag sind wir in Manchester gelandet und mit dem Zug nach Hebden Bridge gefahren. Heute bringt uns ein Vorortzug bequem bis nach Littleborough und wir werden mit leichtem Gepäck die 19 Kilometer bis nach Hebden Bridge zurücklaufen. Na, wenn das mal kein bequemer Anfang ist!

Wir verbringen also zwei Nächte in der gleichen Unterkunft, in diesem Falle dem Crown Inn in Hebden Bridge. Das Inn wird von einer kapriziösen, aber interessanten und charmanten afrikanischen Lady bewirtschaftet. Am Vorabend hat sie uns noch mitgeteilt, dass sie generell nicht mehr kocht und uns einen anderen Pub für das Abendessen empfohlen. Nach unserer Rückkehr aus dem Pub haben wir uns aber noch so nett mit ihr unterhalten, dass sie uns für heute Abend ein afrikanisches Menü versprochen hat – Extra für uns, wir sind gespannt!

Wir wollen nicht wieder über die Kuhwiese laufen (-> Lydgate), deshalb geht es die ersten vier Kilometer bis Warland zunächst am Rochdale Canal entlang. Am Morgen hat es noch geregnet, aber jetzt kommt schon die Sonne hinter der Wolkendecke hervor. Es ist nicht zu warm und nicht zu kalt, bestes Wanderwetter also! Die 200 Meter bis zum Warland Reservoir steigen wir leichtfüßig auf, denn wir sind gut trainiert. Im Herbst sind wir immer fitter als im Frühling, denn ein wanderreicher Alb-Sommer liegt hinter uns. Im Frühling hingegen müssen wir uns immer erst mal „einlaufen“.

Oben am Reservoir wartet der Pennine Way als ein breiter Schotterweg auf uns. Uns ist ein wenig feierlich zumute: Dieser Weg wird uns den ganzen Urlaub begleiten und uns dieses Mal bis zum Hadrian’s Wall führen! Er führt uns heute schnurgerade an einer Mauer bis zum Ende des Reservoirs und dann an einem Kanal entlang. Diese Kanal-Landschaft hier oben unterscheidet sich jedoch sehr vom grünen Tal: Links und rechts sehen wir nur Steine, Gras und Heidekraut. In der Ferne, auf der anderen Seite des Calderdale, steht ein großer Windpark und dieser ist das einzige Besondere, an dem das Auge hängenbleibt. Also … schön ist was anderes, aber wir genießen die Sonne, den Wind und einfach die Tatsache, den ganzen Tag draußen zu sein!

Unser nächstes Fernziel ist das Stoodley Pike Monument, das uns schon aus der Ferne grüßt. Der Weg dorthin führt über eine grasige Ebene ohne große Aufstiege und Abstiege. Links bietet sich ein Ausblick in das Calderdale – dort sieht es eigentlich viel lieblicher aus als hier oben bei uns. Jedoch gibt es dort unten auch eine fette Bundesstraße und eine Eisenbahnlinie –  und hier oben nichts, nur Wind, Steine und Gras.

Obwohl wir uns auf einem der wichtigsten Wanderwege Großbritanniens befinden, treffen wir hier oben keine Menschenseele. Der breite Fahrweg ist schon vor längerem in einen Pfad übergegangen, der teilweise durch Gras, dann durch Heidekraut oder durch Steinsammlungen führt. Mal besteht der Weg aus kleinen Steinen, mal aus Sand und mal aus „Slabs“, also Steinplatten, die über matschige oder erodierte Abschnitte führen. Insgesamt lässt es sich angenehm und bequem gehen und nach glücklichen zwei Stunden Laufzeit erreichen wir das Stoodley Pike Monument.

Das wuchtige Mahnmal wurde 1854 zum Ende des Krimkriegs errichtet, einer in Deutschland eher weniger bekannten militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland, dem Osmanischen Reich, England und Frankreich. An diesem Krieg war Deutschland mal nicht beteiligt – ja doch, das gibt es! 🙂

Das Mahnmal kann uns nur wenig anrühren, zumal es drinnen dunkel ist und man ohne Lampe auch nicht hinaufsteigen kann. Wir setzen uns also auf einen Felsen mit Aussicht auf das Calderdale und genießen unsere Mittagspause in der Sonne.

Kurz nach Stoodley Pike führt uns der Pennine Way auch schon wieder hinunter ins Calderdale. Wir steigen durch ein hübsches Waldstück ab und landen wieder am Rochdale-Canal. Hier verläuft der PW weiter wieder auf die Hochebene hinauf, die wir auch morgen angehen wollen. Aber heute wollen wir zurück nach Hebden Bridge und schlendern die letzten zweieinhalb Kilometer gaaaanz gemütlich am Kanal entlang. Heut sind wir sowas von gar nicht kaputt. Ob das an den Trailrunner-Schuhen liegt? Wir wollen nicht zu früh wieder in Hebden Bridge ankommen, sondern noch ein wenig das schöne Wetter draußen genießen. Kurz vor dem Ort finden wir noch ein Café direkt am Kanal. Wir genießen unseren Kaffee in der Sonne, mit Blick auf Enten und Schwäne.

Im Ort angekommen, wandern wir noch ein wenig durch das wirklich hübsche alte Arbeiterstädtchen. Obwohl der Ort extrem von der Flut an Weihnachten 2015 betroffen war, ist er wieder sehr schön hergerichtet. Es gibt viele schöne, alte Steinhäuser und viele Cafés und Kunstläden. Der Ort soll ziemlich bekannt und touristisch sein, wir aber profitieren vom Charme der Nachsaison: Obwohl es Freitagabend ist, sind nur wenige Menschen auf den Straßen.

Beim Abendessen bestätigt uns unsere Wirtin, dass der Ort in der Tat sehr angesagt ist und viele Künstler und Kreative in den letzten Jahren in den Ort gezogen sind. Jedoch berichtet sie uns auch davon, wie schwer es für sie als dunkelhäutige Frau ist, allein ein Geschäft zu führen. Sie spricht von einer großen Ausländerfeindlichkeit in Yorkshire, hier im Norden Englands, was uns zum damaligen Zeitpunkt noch etwas erstaunt. Es gibt doch schon so lange Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft in dieser Region – kann es denn wirklich sein, dass die Stimmung so aggressiv ist?

Ein Jahr später werden die Yorkshiremen mehrheitlich für den Brexit stimmen. Der Anteil der „Leave“-Stimmen in dieser Region ist der höchste im ganzen Land. Ich hab’ es nachgesehen: Selbst hier, in dieser doch eher liberal orientierten Gemeinde stimmen die Bürger 2016 mehrheitlich für den Austritt aus der EU. Traurig, aber wahr.

Das afrikanische Menü im Crown Inn war jedenfalls phantastisch. Vielen Dank, Angela!

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