Tag 63: Dufton nach Garrigill

Am Morgen verabschieden wir uns herzlich von Simon und gehen die schwierigste Passage auf dem Pennine Way an – THE CROSS FELL!

Der Berg ist nur 893 Meter hoch, aber der höchste in den Pennines. Ähnlich wie Mount Katadyn in den Appalachians gilt er aber als Schlechtwetterberg, der uns im Vorfeld unserer Planung schon ordentlich Respekt eingeflößt hat. Wikipedia:

„Eine Wanderung über Cross Fell ist nur bei gutem Wetter und mit angemessener Ausrüstung zu empfehlen, da der Gipfel im Frühjahr noch lange verschneit bleibt, häufig in Wolken und Nebel liegt und starken Winden ausgesetzt ist.

Huuuhh! Wird heute ein Tag mit gutem Wetter sein? Wir rechnen mit dem Schlimmsten und wissen, dass wir es mindestens bis Garrigill schaffen müssen. Das sind 25 Kilometer und wird wohl recht anstrengend bei den oben beschriebenen Bedingungen. Vor dem heutigen Tag haben wir am meisten gebangt. Wir haben von Wanderer gelesen, die sich auf der Hochebene des Cross Fells verlaufen haben und stundenlang herumgeirrt sind, bis sie den Abstieg gefunden haben. Wie wird es uns ergehen? Die Wettervorhersage ist durchwachsen!

Als wir loslaufen, ist es noch nicht neun Uhr. Wegen der umliegenden Hügel sehen wir den Cross Fell nicht – was wird uns erwarten? Egal – wir müssen eh über den Buckel!

Zunächst gilt es erst einmal, überhaupt in die Höhenlage der Pennines wieder aufzusteigen. Gestern sind wir auf unter 200 Meter abgestiegen, nur um in Dufton übernachten zu können. Für die Zelter unter euch: Einen Weg vom High Cup Nick in Richtung Cross Fell gibt es nicht – da wäre Querfeldeinwandern angesagt!

Von 200 Meter auf fast 900 … das ist schon ein ordentlicher Aufstieg. Viele Wanderer laufen durch von Dufton bis nach Alston – aber ob der vielen Höhenmeter und der unsicheren Wetterlage reichen uns die 25 Kilometer bis Garrigill. Im Vorfeld habe ich uns dort in ein B&B eingemietet. Also sind es heute 25 Kilometer mit einem ordentlichen Aufstieg und unsicherer Wetterlage – wir bibbern schon!

Zunächst geht es allerdings im strahlenden Sonnenschein langsam und gemächlich nach oben. Wir durchlaufen eine elysische Landschaft und die ersten fünf Kilometer geht es noch relativ gemächlich nach oben. Wir haben eine tolle Aussicht heute Morgen, auf das Eden Valley und Dufton Pike und Dodd Hill.

Schon ab 500 Höhenmetern wird es zunehmend kalt und neblig. Wir sind darauf eingerichtet und ziehen die Mütze und die Jacke aus den Seitentaschen – auf geht’s!

Immer höher geht es auf den Great Dunn Fell hinauf und die Landschaft im Tal ist immer weniger zu sehen. Wir steigen förmlich in die Nebelfelder ein. Immer wieder öffnen sich die Wolken und man sieht das sonnige Tal unter uns. Bei uns gibt es allerdings nur Stille und eine wabernde Masse um uns herum. Als wir auf dem Great Dunn Fell die ersten Cairns erreichen, sind wir recht froh, haben wir doch den größten Teil des Anstiegs hinter uns – Dafür wird es aber auch extrem nass. Zwar haben hier fleißige und hilfreiche Kräfte Steinplatten auf dem matschigen Weg verlegt, aber aufgrund der hohen Niederschläge der letzten Tage stehen sie alle unter Wasser. Egal – wo die „Slabs“ liegen, da verläuft der Weg! So verirren wir uns wenigstens nicht auf dem Hochplateau und erreichen so glücklich den Gipfel des Great Dunn Fell – aber Moment! Sollte hier nicht eine Radarstation sein? Ja wo ist sie denn?

Ein kleiner Wind kommt auf und quirlt den Nebel etwas durch … plötzlich taucht sie aus dem Nebel auf, die große Kugel der Radarstation, direkt vor uns, wie konnten wir sie vorher übersehen? Und Sekunden später ist sie wieder verschwunden, Zauberei! Wir gut, dass wir zu zweit sind und blöde Witze machen können, alleine wäre uns hier schon etwas mulmig zumute!

Wir patschen den Hang herunter durch die Nebelsuppe. Auch hier liegen ordentlich verlegte Steinplatten. Nach einem kleinen Zwischental geht es auf der anderen Seite wieder hoch auf den Little Dunn Fell. All diese Berge sind höher als alle anderen der Pennines, aber da sie in einer Reihe liegen, merkt man den Unterschied kaum. Hier auf dem Little Dunn Fell beginnt sich der Nebel zu lichten: Wow! Wir haben eine Aussicht hinter und und sehen die Radarstation auf dem zurückliegenden Berg – nach vorn sehen wir den Aufstieg auf den Cross Fell deutlich vor uns: Oje, da geht es noch mal runter und dann noch mal ordentlich rauf!

Plötzlich überholt uns ein Mann ohne Rucksack mit Hund und hechtet den Hang vor uns hinunter. Wo will er so schnell hin? Wo will er ankommen? Zurück nach Dufton? Nach Garrigill? Wieder nach Kirkland hinunter?

Als wir den Anstieg auf den Cross Fell geschafft haben, sind wir glücklich und erleichtert. Ab jetzt geht es nur noch bergab und der Sonne entgegen.

In der Tat herrscht hier oben ein ordentlicher Wind, und der weht uns fast das Mark aus den Beinen. Auf dem Cross Fell hat man das Gefühl, dass man auf dem Mond wandelt: Steine, Steine und eine eintönige Landschaft. Auf dem Platau verliert man irgendwann sogar die Radarkugel auf dem Great Dunfell aus dem Blick, und solange man nicht auf der Kante dieses großen Hochplataus steht, hat man auch keine Aussicht. Aber nachdem wir uns einen Tee und einen Snack am „Shelter“ (ein offener Windschutz mitten auf dem Hochplateau) genehmigt haben, geht es wieder herunter, und damit gibt es eine (zugegebenermaßen etwas verhangene) Aussicht ins Eden Valley und auf die umliegenden Hügel. Wir sehen den Weg und die Steinmarker klar vor uns, also ist alles wunderbar!

Unser nächstes Ziel ist „Greg’s Hut“, ein Bothy in England!

Wir kennen Bothies, also unbewirtschaftete Schutzhütten, schon aus unserem letzten Schottland-Urlaub. Zweimal haben wir sogar schon in einem übernachtet. Aber neu war mir, dass es diese Hütten auch (aber selten) in unwirtlichen Gegenden in England gibt. Nun, heute werden wir auf eines der wenigen Bothys in England treffen. Dieses ist eine ehemalige Schmiede, als dies alles noch Minengebiet war. Greg ist ein Fellwanderer, der in den Alpen bei einem Bergunfall um’s Leben gekommen ist. Die Hütte wurde zu seinem Gedenken renoviert.

Heute besteht sie aus zwei Räumen, ausgerüstet mit einem Vorraum mit ollen Plastikstühlen  und einem „Schlafraum“ mit einem Podest aus Spanplatten und einem Ofen. Es stellt sich allerdings die Frage, wo man das Holz herholen soll, um den Ofen zu befeuern. Mitbringen?

Wir grüßen das Bild von Greg an der Wand des Bothys, fotografieren den berühmten Ort (mehr als 600 Wanderer übernachten hier jedes Jahr) und machen uns weiter auf den langen Abstieg nach Garrigill.

Von Greg’s Hut aus sind es noch mal zehn Kilometer bis nach Garrigill. Diese verlaufen fast durchweg auf breiten Schotterwegen. So kommen wir gut voran, aber der Abstieg durch ehemalige Abraumhügel der Minen aus alter Zeit ist eher bedrückend: Wie viele Menschen haben hier früher unter unmenschlichen Bedingungen und diesen fiesen Winden geschuftet? Wie kalt und ärmlich müssen die Lebensbedingungen hier gewesen sein? 

Fünf Kilometer vor Garrigill werden wir durch Schüsse aus unseren düsteren Gedanken geweckt – Jagdsaison, oje!

Zunächst versuchen wir das Geballere noch zu ignorieren, denn immerhin befinden wir uns auf einem NATIONAL TRAIL! Man wird uns doch hier nicht über den Haufen schießen?

Aber irgendwann sehen wir vor uns auf dem Weg junge Männer, die wie wild Fahnen vor uns schwenken – Oh Gott, wir laufen durch ein Kriegsgebiet!

Unser Schritt beschleunigt sich in der Tat – nichts wie weg von dieser wilden Moorhuhnjagd!

Kurz vor Garrigill, nachdem wir die Kehre hinter uns gebracht haben, treffen wir auf einen Konvoi von Jägern. Diverse SUV, teilweise in Tarnfarben, überholen uns, die Fahrzeuge voll mit alten Männern – Ihrer Lordschaft erlesene Gäste? Einer spricht uns an, aber wir haben große Probleme, den Mann zu verstehen. Haben wir seine Fragen beantwortet? Wir glauben schon! 🙂

Endlich erreichen wir Garrigill, einen kleinen Ort mit weniger als zweihundert Einwohnern. Es gibt ein Post Office und einen Pub, der aber seit 2016 leider endgültig geschlossen ist. Bei unserer Planung standen wir vor folgender Überlegung:

  1. Übernachten wir in einem B&B in Garrigill und nehmen wir ein Abendessen mit, so dass wir unabhängig vom Pub hier übernachten können oder
  2. laufen wir 32 Kilometer durch bis Alston und kommen spät, aber kaputt und happy dort in einem Pub an?

Zum Zeitpunkt unserer Planung erschienen uns die 32 Kilometer zu viel und wir entschieden uns für die Garrigill-Übernachtung. Aber im Nachhinein müssen wir zugeben, dass wir auch die 32 Kilometer geschafft hätten, da das Wetter auf den Fells ganz gut war. Wir hatten Glück, aber es hätte natürlich auch schlimmer kommen können!

In Garrigill erwartet und folgende Situation: Als wir in unserem B&B ankommen (East View B&B), finden wir die Tür des Cottages unverschlossen und eine Nachricht von unserer Landlady Lana, dass sie heute Abend nicht da sei, da sie arbeiten müsse. Wir sollten uns jedoch wie zuhause fühlen und sie habe in einem benachbarten B&B ein Abendessen für uns arrangiert. Das ist doch super, oder?

Das B&B mit dem Abendessen hat nicht nur zwei Gerichte für uns zur Auswahl (naaa, was ist es wohl? Lasagne und Steak and Ale Pie!!!!), sondern auch gezapftes Ale. Also freut sich Friedel ein Loch in den Bauch über das unverhoffte Bier, Glückes Geschick! 🙂

Wir genießen unseren gemütlichen Abend in dem improvisierten Pub und kommen später auch mit einem anderen Gast ins Gespräch. Nach kurzer Zeit bemerken wir allerdings, dass dieser ziemlich betrunken und nationalistisch eingestellt ist, sodass wir tunlichst das Weite suchen. Mit uns flüchten noch diverse andere Gäste, die er auch vollgequatscht hat.

Wir verbringen einen schönen Restabend mit Tee und Keksen im Cottage. Unser Zimmer ist sehr gemütlich eingerichtet, so auch die Lounge für die Gäste. Da wir die einzigen Übernachtungsgäste sind, haben wir das gesamte Cottage für uns. Wir betrachten Karten und Bildbände der Region und genießen das Ferienhaus-Ambiente. Morgen früh werden wir Lana, die Landlady, kennenlernen. Wir sind schon gespannt!