DDLN Etappe 51: Auf dem E6 von Scharzfeld nach Altenau

Mittwoch, 30. September 2020: 28 Kilometer

 

Wer die Schönheit des Harzes kennenlernen möchte, sollte sich nicht auf den E6 begeben!

Wir vermuten mal, dass die Europäischen Fernwanderwege konzipiert wurden, um den Wanderer möglichst schnell und effektiv durch Europa zu führen. Es sind quasi europäische Wander-Autobahnen, die uns auf breiten Spuren möglichst gerade und ohne Hindernisse wie Steine und Wurzeln von einer Etappe zur nächsten bringen sollen. Nur so können wir uns erklären, dass der E6 fast nur auf Asphalt und breitesten Forstwegen durch den Harz verläuft – jedenfalls auf der Etappe, die wir heute gelaufen sind!

Der Tag beginnt für uns nass. Nicht dass es regnen würde, nein nein, wir steigen halt in den dichtesten Nebel auf und begegnen dem Phänomen des Flugregens, den wir schon aus Schottland kennen. Direkt hinter Scharzfeld geht es bergauf (von 240 auf 640 Meter) auf den Großen Knollen. Woher er seinen Namen hat, wissen wir nicht, denn wir sehen nichts!

Interessanterweise hat die Baude auf dem Knollen geöffnet und auf dem steinigen Weg dorthin kommt uns im Nebel ein einsamer Poncho-Träger entgegen. Dies wird der einzige Wanderer bleiben, den wir heute treffen.

Den Kaffee bekommen wir durch eine Durchreiche in der Wand serviert und wir trinken ihn auf nassen Picknickbänken vor der Baude.

So halten wir uns dort gar nicht lange auf, denn wir haben noch ein strammes Wanderprogramm vor uns. Nach 400 Metern Aufstieg geht der Weg nun nämlich wieder 300 Meter runter nach Sieber, um uns von dort gleich wieder 500 Meter hoch zu führen. Wir laufen heute 18 Kilometer nur bergauf!

Nach der Knollen-Pause geht es auf einem schmalen und glitschigen Pfad recht steil bergab. Das ist zwar anstrengend und bedarf einer hohen Konzentration, aber dies ist der schönste Abschnitt des heutigen Tages!

Sieber ist nicht der Rede wert und besteht größtenteils aus Pensionen, die Namen wie „Haus Gisela“ oder „Haus Iris“ oder „Tannengrund“ heißen. Die Gardinen vor den Fenstern erinnern uns an unsere Kindheit in den 70ern.

Nach Sieber geht es wieder bergauf, und zwar kilometerlang auf einer asphaltierten Forststraße. Auf meiner Outdoor-Active-Karte ist der Weg jedoch als Schotterweg eingezeichnet. Wir wundern uns über den Belag, aber schnell wird uns klar, warum dieser Aufwand des Asphaltierens getroffen wurde: Auf dem Weg überholen uns mindestes sechs brausende, riesige LKW, mit Baumstämmen beladen. Überhaupt scheint der Holzschlag hier ein einträgliches Geschäft zu sein – wir passieren riesige, abgeholzte Flächen.

Aber auch ohne die Teerstraßen wird es nicht besser: Als wir endlich mal wieder Naturwege unter unseren Füßen haben, müssen wir durch Schlamm waten und über Äste steigen. Was für eine Unverschämtheit, dies ist immerhin ein internationaler Wanderweg!

Als wir die Grenze zum Nationalpark Harz passieren, wird es etwas weniger mit dem Holzschlag. Angeblich werden hier die toten Bäume stehen- und liegen gelassen. Tatsächlich sieht der Wald ein wenig besser aus, aber auch hier gibt es große Flächen mit abgestorbenen Bäumen. Schön ist was anderes!

Kurz vor Altenau freuen wir uns auf den „Wildnispfad“, der auf den Wegweisern ausgeschrieben wird. Auf unserer Karte als dünne, rote Strichel-Linie eingezeichnet, müssen wir auch hier breite Schotterwege in desolatem Zustand passieren, vorbei an großen Wüstungen. Erst kurz vor Altena erfahren wir, dass der „Wildnispfad“ ein 1,5 Kilometer langer Rundweg auf Rindenmulch ist, auf dem die Besonderheiten des Nationalparks en miniature gezeigt werden. Das. Ist. Doch. Nicht. Wild!!!

Beim Einmarsch nach Altenau freuen wir uns über eine kleine, letzte Passage auf einem naturbelassen Weg. Na endlich!

Altenau sieh aus wie eine Wild-West-Stadt. Die Häuser sind fast alle aus Holz und sehen aus, als wenn sie nur provisorisch hier ständen. Auch hier buhlen zahlreiche, altmodisch anmutende Pensionen um die wenigen Gäste, die jetzt, Ende September, noch auf den Straßen flanieren.

Viele Geschäfte stehen leer, haben geschlossen oder verkaufen altmodische Harzer Souvenirs aus Holz, Porzellan, Schnaps oder Wurstwaren. Als wir um eine Ecke biegen, kriege ich fast einen Herzanfall, als mich aus einem Hauseingang zwei lebensgroße, struppige Hexen aus Pappmarché angrinsen.

Unser Hotel hat heute Ruhetag und wir laufen ein wenig herum, um einen Platz zum Essen zu finden. Wir landen im ersten Hotel am Ort, das aber merkwürdig aus der Zeit gefallen zu sein scheint: In den Fenstern stehen Barbie-Puppen mit gehäkelten Ballkleidern, die Einrichtung ist rustikal aus den 70ern und in der Ecke sitzen Loriot und seine Verlobte Hildegard.

Aber die Wirtin ist sehr freundlich und das Essen ist gut!