Von Poulary zum Cluanie Inn, 19km, 07.10.2018

Hurra, wir leben noch!

Es gibt ja diese lustige Fun-Skala für Abenteuer-Urlaube: 1 symbolisiert ein schönes und angenehmes Erlebnis, das aber meistens nicht lange im Gedächtnis bleibt. 2 ist abenteuerlich und im Moment unangenehm, aber im Nachhinein ist man stolz, dass man es geschafft hat und was zu erzählen hat. 3 ist dann gar nicht lustig und mit potentiell fatalem Ausgang. Für heute wollen wir eine neue Kategorie aufmachen: Es ist Fun 3 mit gutem Ausgang. Aber sowas wie heute machen wir nie wieder!! 😧

Der Wecker klingelt um sechs und wir bemühen uns, heute mal schneller loszukommen als sonst. Nur einen Kaffee gönnen wir uns und kein warmes Porridge, sondern nur ein paar Handvoll Nüsse. Trotzdem ist es schon halb acht, als wir aufbrechen. Zunächst geht es zwei Kilometer an der Straße entlang, bis wir ins Moor abbiegen. Wir frohlocken, denn bis jetzt regnet es nur wenig. Wir wollen auf jeden Fall noch über den River Loyne kommen, bevor er zu sehr anschwillt und uns nicht mehr rüber lässt. Exit-Stategie bis dahin: Wenn er uns nicht lässt, laufen wir heute das ganze Stück über Straße zurück nach Invergarry.

Von Anfang an ist der Weg sehr anstrengend. Es ist ein unerhört patschiges, glitschiges Moor und mehrmals verlieren wir den Pfad und orientieren uns nach Karte, GPS und Geländemerkmalen, um die Passage zwischen den beiden Bergsatteln zu finden, die den einfachsten Weg ins Glen Loyne bedeuten. Auf halbem Weg zum Pass beginnt der Starkregen und ein ordentlicher Wind von vorn erschwert das Vorankommen. Trotzdem sind wir – den Umständen nach – recht schnell und unser Plan geht auf: Wir kommen rechtzeitig über den Fluss, aber das schnell fließende Wasser geht uns bis zum Knie.

Auf der anderen Seite feiern wir mit einer heißen Tasse Tee und freuen uns: der Weg zum Cluanie Inn ist frei! Friedel macht hier das einzige Bild auf der heutigen Tour: Dafür zieht er extra die wasserdicht verstaute Kamera aus dem Ruchsack. River Loyne, bäh bä bäbäh bääähh!

Aber zu früh gefreut! Durch den starken Regen sind die umliegenden Bergbäche inzwischen zu reißenden Weißwassern geworden. Den ersten können wir noch durchwaten. Beim zweiten finden wir 20 Meter weiter oben am Hang eine Stelle, an der wir über mehrere Steine in grossen Sprüngen rüberhechten können. Mit 12 Kilo auf dem Rücken!

Vor dem dritten stehen wir ratlos und wissen echt nicht, was wir jetzt machen sollen – da durch wollen wir auf keinen Fall!

Uns dämmert nun aber, dass unsere Exit-Stategie mittlerweile ebenfalls weggespült wurde – wenn wir zurückgehen würden, wäre der Loyne vermutlich unpassierbar, denn die ganzen Wassermassen fließen in ebendiesen Fluss.

Wir stehen vor einem Dilemma: Durch den reißenden Allt Coire nan Leach „waten“ oder ein Notcamp im abschüssigenMoor unter nassesten Bedingungen?

Wir beratschlagen und entscheiden, dass wir es wagen (müssen): Wir behalten die ohnehin schon nassen Klamotten an und tasten uns, Friedel voran, durch das fast hüfthohe Weißwasser. Wir und die Wanderstöcke stützen uns gegenseitig und wir schaffen es tatsächlich, auf die andere Seite zu kommen. Puh, das war knapp! Wenn wir noch später am Tag hier angekommen wären, wäre diese Aktion nicht mehr möglich gewesen! 😅

Ein Blick auf die Karte sagt uns: Über den Allt A‘ Choire Odhair müssen wir ja auch noch! Aber zum Glück finden wir nach längerem Suchen eine Stelle zum erneuten Rüberhechten.

Klitschnasses sind wir nun. Der Pfad selbst ist zu einem Bach geworden und wir patschen kilometerweit durch knöcheltiefes Wasser. Aber egal!

Bald sind wir an einem Fahrweg, der uns nach weiteren fünf windigen und kalten Kilometern zum Cluanie Inn (an der A87 nach Skye) führt. Der indisch-stämmige Rezeptionist verzieht keine Mine, als wir tropfnass vor ihm stehen. Im Gegenteil – verständnisvoll lässt er uns sofort ins Zimmer und wir können erst mal auftauen, bevor wir die Formalitäten erledigen. Wir buchen gleich noch eine Nacht dazu – von diesem Abenteuer müssen wir uns erst mal erholen und morgen soll es im gleichen Stil weiterregnen.

Im Nullkommanix haben wir das Hotelzimmer verwüstet. Zwei Tage sollten jedoch reichen, dass wir und unser ganzes Equipment trocknen.

Im Cluanie Inn grasen die Rehe direkt vor unserem Fenster. Zuerst haben wir gedacht, dass sie in einem großen Gehege stehen, aber sie sind freiwillig hier!

Resümee: Gut war, dass wir früh los und durchmarschiert sind. Schlecht: Wir hätten die Wetterwarnungen beachten sollen. Dies sind besondere Bedingungen und in den Alpen läuft ja auch keiner los, wenn starker Schneefall angesagt ist. Schön blöd sind wir, aber das Glück ist mit die Doofen! 😜

22 Antworten auf „Von Poulary zum Cluanie Inn, 19km, 07.10.2018“

  1. Ein wild schäumende Gebirgsbach, der nicht mehr grau, braun oder blau aussieht, sondern nur noch weiß schäumt wegen der hohen Geschwindigkeit. Der Ausdruck ist Kajak-Sprache! 😆

  2. Du Adlerauge! Das ist Geld, das in Friedels Ultralight-Geldbörse in der Hosentasche steckte. Aber wie gesagt: Wir waren nass bis auf die Knochen! 😅

  3. Wir bleiben hier bis Mittwochmorgen. Es regnet noch immer wie aus Kübeln und das soll morgen auch noch so bleiben. Am Mittwoch fahren wir mit Bus nach Shiel Bridge und dann geht es mit einer etwas abgewandelten Route weiter. Da wir einen Teil der Etappe von hier bis Shiel Bridge schon 2008 gelaufen sind, fehlen nur 9 Kilometer. Da knirsche ich zwar ein bisschen mit den Zähnen, aber nun ja … Morgen schreibe ich ein bisschen was über das Gammeln hier. 😆

  4. Guter Plan B!!!!! Freue mich schon, wie ihr ‚gammelt‘, nachdem euer ‚Pausentag‘ 13km beinhaltete stelle ich mir eure ‚Gammelei‘ so vor, dass ihr bereits vor dem Frühstück lustige 10km durch das Moor hüpft, dabei 2 Flüsse durchwatet und einen durchschwimmt und nach dem Full Scottish eine ‚kleine‘ Runde von 30km dreht (ist ja schließlich ohne Gepäck, das trocknet derweil im Hotel 😉). Lieg ich richtig?

  5. So ähnlich hätte ich das aber auch eingeschätzt 😂
    Oder ihr seid in der Nähe eines super-lecker-tollen Cafés und verbietet euch die Einkehr, bevor ihr nicht zumindest deren Kaminholz gehackt habt??? Irgendwie sowas… Ihr seht, wir unterstellen euch eisernen Willen. Ein bisschen „schaffe, schaffe, Häusle baue…“ Aber ich bewundere euch weiterhin sehr dafür!!!

  6. Jesses Steffi , das ist ja spannender als Tatort. Außerdem kriegt man schon beim Lesen Eishände.

  7. Wow… und ich dachte schon bei den vorherigen Erzählungen, dass es nässer nun bestimmt nicht mehr geht. Da hatte ich mich wohl getäuscht. Dann wünsch ich euch aber, dass ab jetzt trockenere Zeiten anbrechen! Weiterhin viel Glück und Spaß!

  8. Ha! Ihr glaubt ja gar nicht, wie wir Gammeln können! Heute waren wir nur draußen, um die Bushaltestelle zu suchen und kurz nach den Rehen zu sehen. Ansonsten haben wir nur Japanisch-Vokabeln gepaukt, uns die Hauptstädte der Welt abgefragt und an der neuen App herumgetüftelt. Sonst nix! 😆

  9. Ganz ehrlich? Wir haben schon ein bisschen Bammel vor unserer Abschlusstour Ende April! Aber wir zieh’n das durch! 🙂

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